Alterswerk
Kunst & Kultur
Die Künstlerin Lucia Kellner ist auf der Suche nach sich selbst, nachdem eine Augenerkrankung ihr künstlerisches Schaffen eingeschränkt und verändert hat.
Die Künstlerin Lucia Kellner ist auf der Suche nach sich selbst
Sie hat ihr ganzes Leben dem künstlerischen Ausdruck geweiht und viele Werke geschaffen: Aquarelle, Ölbilder, Pastelle und andere Zeichnungen, Radierungen, Fotogafien, Mosaike, Bühnenbilder und Theaterdekorationen. Lucia Kellner wollte sich jede nur erdenkliche Technik aneignen. Nur eines wollte sie nicht: In einer Bank arbeiten, wie ihr Vater es wünschte.
Berufswunsch
1932 in Wien geboren, verlebte sie ihre Kindheit mit den Eltern in Prag, wo sie später auch die Handelsschule besuchte. In der Nachkriegszeit übersiedelte die Familie 1951 wieder nach Österreich. „Ich wollte schon immer malen, aber mein Vater hat gesagt: ‚Schlag dir das aus dem Kopf!‘. Er selbst war sehr talentiert, hat wunderbar gezeichnet und gemalt. Auf seinen Wunsch musste ich einen ‚ordentlichen Beruf‘ erlernen. Mit 21 begann ich trotzdem an der Akademie für angewandte Kunst Malerei und Grafik bei Prof. Hilda Schmid-Jesser zu studieren. Davor habe ich im Büro gearbeitet, aber das war nichts für mich. Während dem Studium habe ich sogar Staubsauger verkauft, weil mein Vater sich weigerte mich zu unterstützen. Trotzdem war diese Zeit schön. Meine Professorin war eine gute Lehrerin, sie hat mich gerngehabt und die Kollegen waren sehr angenehm. Es waren viele Frauen dabei. Die meisten haben aber geheiratet und die Kunst aufgegeben. Von meinem Jahrgang sind nur noch wenige Künstler tätig wie Valentin Oman in Kärnten.“
1959 schloss Lucia ein zweijähriges Studium der Emailtechnik und des Mosaiks an ihr Diplom an. Stipendien und Studienreisen führten sie nach Paris, München, Athen, in die Provence und nach Rom. In Wien war sie von 1962 bis 1968 als Lehrbeauftragte an der Akademie in der Abteilung Malerei und Grafik unter ihrer Professorin tätig. „Wolfgang Hutter hat dann die Klasse übernommen und ich konnte zu ihm keine rechte Beziehung knüpfen“, erinnert sich Lucia Kellner. „Also war ich nach einem Jahr nur noch freischaffend tätig und habe gemalt was das Zeug hielt. Zum Glück haben sich meine Aquarelle gut verkauft.“ Kellner erhielt u. a. auch Mosaikaufträge für Hauszeichen von der Gemeinde Wien. Ihr um 1970 entstandenes Mosaik „Fabelfahrzeuge“ ist heute noch in der Großfeldsiedlung in der Doderergasse 1/Stiege 23 zu sehen. Außerdem verdiente sie sich ein wenig Geld, indem sie mit der Tochter des Architekten Otto Niedermoser Bühnenbilder malte. Später hielt sie Kunstkurse an der Volkshochschule.
Ausdrucksformen
Lucia Kellner war immer auf der Jagd nach neuen Ausdrucksformen: „Ich habe Versuche gemacht mit Musik. Ich habe das Gehörte in Farbe oder Tusche übersetzt und meine Werke ‚musikalische Stenografien‘ genannt.“ Internationale Ausstellungen führten die Künstlerin nach München, Kuwait oder New York, wo sie ihre ausdruckstarken Werke gut verkaufen konnte. Und auch im Inland war sie erfolgreich, wie zahlreiche Ankäufe durch private und öffentliche Sammlungen sowie Auszeichnungen belegen. Ihre Arbeiten wurden von der Albertina ebenso angekauft wie von der Galerie Belvedere oder vom Wien Museum.
Seit 42 Jahren ist Kellner Mitglied im Künstlerhaus. Dort lernte sie eine sehr liebe, alte Malerin kennen, die über einen wachen Geist und so wie sie über viel Humor verfügte. Ernestine Rotter-Peters (1899-1984) vererbte ihr ein Haus am Waldrand im Westen von Wien zusammen mit ihrem gesamten künstlerischen Nachlass. „Ich habe ihr in ihren letzten Tagen versprochen, mich um alles zu kümmern, ohne zu ahnen was auf mich zukommt. Das Haus war eine Ruine, die Renovierung ein ungeheurer Kraftakt und der Nachlass bestand aus einem Haufen Papier auf dem Dachboden, auf den es draufgeregnet hat. Ich habe alles sortiert und restauriert und konnte 2008 eine große Werkschau im Leopoldmuseum auf die Beine stellen. Hin und wieder kauft jemand etwas und manchmal tauchen Arbeiten bei Auktionen im Dorotheum auf.“
Schaffenskraft
Heute lebt Lucia Kellner mit ihrem Kater „Basti“, den sie liebevoll den Hausherrn nennt, allein im alten Haus der lieben Freundin, in dem sie auch ihr Atelier eingerichtet hat. Dort und im üppig bepflanzten Garten sind viele wunderbare Bilder entstanden, kraftvolle Pastellzeichnungen und eindrucksvolle Aquarelle, in denen das eine oder andere neugierige Katzengesicht auftaucht. „Ich blase ein wenig Trübsal“, bekennt die 86-jährige Künstlerin. Vor rund zehn Jahren begannen ihre Augenprobleme. Auf dem linken Auge wurde ein Glaukom diagnostiziert und sie bekam Tropfen. Vor drei Jahren verschlechterte sich ihre Sehkraft, eine Gesichtsfeldmessung ergab auch auf dem rechten Auge blinde Flecken und sie musste das Autofahren aufgeben. Mit ihrem Toyota, in dem sie ein halbes Atelier mitgeführt hatte, war sie durch die Gegend gefahren, um zu arbeiten. Heute ist das linke Auge unbrauchbar und auf dem rechten Auge sieht sie nur zum Teil. „Flugzeuge sehe ich gut, aber was vor mir auf dem Boden passiert, nicht.“
Potenzial
„Ich habe auf ein Alterswerk gehofft“, erklärt die Künstlerin ihre Situation. „Man spürt ja, dass noch etwas in einem drinsteckt. Ich habe mit großzügigen, großflächigen Bildern begonnen, aber die Augenerkrankung hat das zunichtegemacht. Ich kann nicht mehr beobachten, Bildmotive aussuchen, den Fokus setzen und wiedergeben. Der Maler ist ja ein Voyeur. Jeder Maler verfügt über ein geschultes Sehen. Man schaut auf eine Landschaft und sieht das Charakteristische oder ergründet beim Akt- und Porträtzeichnen den Menschen. Die Hände sind nur das Werkzeug, aber was das Bild ausmacht ist der Maler. In jedem Bild ist etwas von ihm selbst enthalten. Das macht ein Kunstwerk aus und unterscheidet den Künstler vom Laien.“
In ihrem Haus ist sie umgeben von ihren Werken, die überall die Wände zieren. Ihr Atelier wirkt, als würde sie ständig darin arbeiten. Die vielen Pinsel und Werkzeuge, das Papier, die Farbtuben und Paletten, alles liegt bereit. Unzählige Mappen beherbergen farbige Blätter, die sie im Laufe vieler Jahre geschaffen hat. In den Regalen stapeln sich Kataloge, die Auskunft geben über die vielen Techniken, die sie beherrscht. Sie war ihr ganzes Leben lang mit der Kunst verheiratet und vermisst die Arbeit. „Das passt gar nicht zu meinem Charakter, dass ich so trübsinnig bin“, sinniert die jung gebliebene Malerin mit den fröhlichen, wachen Augen. „Ich weiß einfach nicht, wie ich den Anschluss wiederfinden soll.“
Perfektion
Zuletzt hat sie einige Bilder geschaffen, mit denen sie jedoch nicht zufrieden ist. „Ich habe sehr hohe Ansprüche. Viele meiner Arbeiten wollte ich schon zerreißen, habe es aber nicht getan. Mit jedem Bild will man etwas über sich selbst erfahren und kann das auch. Stufenweise kommen immer mehr Erkenntnisse, die man aber nur mit wenigen Leuten teilen kann. Wo ich jetzt stehe, das habe ich noch nicht erlebt!“